Unser Haus ist voller Geschichte oder voller Geschichten – man muss nur genau hinhören, dann hört man sie: Geschichten, auf gut wienerisch G’schichtln, aus vielen Generationen. Diese G’schichtln erzählen uns von Erlebnissen und Ereignissen am Kollegium Kalksburg. Wenn man sich in die Zeit zurückversetzt, zu der die Jesuiten die Errichtung unserer Schule planten, könnte der nachstehende Brief in dieser (oder ähnlicher) Form entstanden sein. 

Bericht an P. Provinzial aus dem Jahr 1854

Hochwürdigster P. Provinzial!

Heute war ich zum zweiten Mal am Gelände der Liegenschaft in Kalksburg, um die Eignung als Kolleg zu überprüfen. Hier nun meine Einschätzung und mein Bericht.

Das gesamte Gebiet macht einen sehr guten Eindruck, auch wenn der Besitz selbst derzeit etwas heruntergekommen und ungenützt wirkt und die Natur sich viele Teile schon wieder zurückerobert hat. Man erkennt einen ehemals sehr gepflegten englischen Garten, der von den Vorbesitzern, der Familie Mack, mit vielen kleinen, liebevoll angelegten Details, wie zwei Teichen, Grotten, natürlich wirkenden Wegen und manch kurios anmutenden Plätzen mit Bänkchen oder Pagoden, angelegt worden ist.

Zwei besondere Bauten möchte ich besonders erwähnen: an der höchsten Stelle des Geländes stehen die Reste eines Dianatempels und am Fuße des Berges eine Art Monument, das ehemals wohl von Wasser umgeben gewesen sein muss, sieht man doch noch einige Mauern, die als Uferbefestigung gedient haben müssen. Dieses Bauwerk hat die Form eines kleinen Rundturms und ist reichlich ausgeschmückt, allerdings mit reichlich freimaurerischer Symbolik. Dieser Turm und auch der Dianatempel müssen wohl dringend adaptiert werden, um die Spuren der Vergangenheit zu löschen. Meine Empfehlung wäre, an Stelle des Dianatempels eine Kapelle zu errichten, die das ganze Anwesen überragt und krönt, genießt man doch von dort eine wunderbare Aussicht auf das gesamte Gebiet und weit ins Tal hinein.

Michaelskapelle

Welchem Zwecke wir dem Monument zuführen könnten, weiß ich noch nicht, aber vielleicht besteht ja die Möglichkeit, diesen im Laufe der Zeit noch zu entdecken. Der Verwalter, der mich herumführte, erzählte, dass der Freiherr von Mack hier angeblich von Kaiserin Maria Theresia besucht worden war, aber Genaueres wusste er auch nicht.

Die Villa selbst, die ehemals der Fürstin Caroline von Trautsohn gehörte, die sie liebevoll „Mon Perou“ („Mein Goldland“) nannte, ist schon länger nicht mehr benützt, die Familie Mack wohnte oben neben der Kirche von Kalksburg. Das Haus ist aber in gutem Zustand, wenngleich auch für unser Vorhaben, hier das Kolleg zu errichten, viel zu klein und ein Ausbau muss von Anfang an mitgedacht werden. Es ist aber jener Ort, an dem die Gesellschaft Jesu bereits über 160 Jahre, von 1609 bis 1773, weilte und die Herrschaft Kalksburg und Mauer innehatte. Wir würden damit also an eine alte Tradition anknüpfen.

Zu erwähnen ist auch noch, dass das gesamte Gelände von der einen Seite von einer Mauer, auf der anderen von der Liesing umschlossen ist und somit ein klar begrenztes Gebiet ergibt. Auch besteht genug Möglichkeit, um einen Garten und einige landwirtschaftlich nutzbare Flächen zu errichten, um eine Eigenversorgung zu gewährleisten.

Botanischer Garten um 1920

Um zum Schluss zu kommen, denke ich, dass auch dieser zweite Besuch meinerseits, meine Empfehlung bestärkt, diese Liegenschaft in die engere Wahl für den Kauf zu ziehen. Besonders auch deshalb, weil die Finanzierung der 60.000 Gulden durch die Zusage der 30.000 Gulden durch seine allerhöchste apostolische Majestät und weiterer großzügiger Unterstützer schon fast gesichert ist.

Des Weiteren sind die Möglichkeiten eines Aus- und Erweiterungsbaues gewährleistet und eine weitere Aufschließung kaum erforderlich. Der einzige Nachteil, den ich erkenne, ist die relativ große Entfernung zur Stadt. Aber wenn sich die Gesellschaft Jesu dazu entschließt, nicht wie in früheren Jahren ein Kollegium mitten in der Stadt zu errichten, sondern bewusst auf das Land geht, dann kann ich nach reiflicher Überlegung diese Entscheidung nur empfehlen.

Mit hochachtungsvollen Grüßen

P. Georg Stieber
(Anmerkung: P. Stieber war erster Generalpräfekt des Kollegs von 1856 – 1858)

Zum Autor

Albert Roth
Albert Roth

ist im Kollegium Kalksburg für das Tagesinternat und die individuelle Lernbegleitung mitverantwortlich. Sein reicher Erfahrungsschatz von der Geschichte des Hauses begeistert und inspiriert die Schulgemeinschaft.