„Wir feiern Maria im G‘fängnis,“ habe sie immer verstanden, vertraute mir eine Erstklässlerin einmal halb verlegen, halb schmunzelnd an. Unter den Missverständnissen, an denen dieses Fest gewiss nicht arm ist, gehört diese kindliche „Lehrmeinung“ für mich zu den liebenswürdigsten. Mit einer gewissen Berechtigung kann man fragen, wie man bloß dieses komplizierte „Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria“ zum Patronatsfest einer Schule machen kann. Da es sich aber nun mal so verhält, darf ich mir als Schulseelsorger immer wieder Gedanken über dieses Fest machen. Und: je länger ich mich mit dem Inhalt des Festes auseinandersetze, desto passender erscheint es mir, dass wir am Kollegium Kalksburg Unsere Liebe Frau als „Immaculata“ verehren.

Schneelandschaft

Zugegeben, ein Dickicht theologischer Argumentationen und schwierige Begriffe wie „Erbsünde“ (peccatum originale) und „Unbeflecktheit“ erschweren den Zugang zur befreienden Botschaft dieses Festes. Dennoch führt uns die Heilige Schrift in ihrer Ganzheit auf einen klaren und einfachen Pfad: Gott hat Israel erwählt, um durch dieses kleine Volk alle Menschen zu sich zu führen. Die Erwählung Israels gipfelt in der Erwählung einer jungen Frau aus diesem Volk, die in einem ultimativen Akt der Zuwendung Gott selbst zur Welt bringen soll. Mit Israel und Maria hat Gott den Ariadnefaden in dieser Welt festgemacht, um die Menschen aus diesem Schlachtfeld aus Gier, Gewalt, Lüge und Ungerechtigkeit – zu der wir diese Erde gemacht haben – herauszuführen. Wen immer auch Gott dazu erwählt, ihm dabei zu helfen, den oder die befähigt er auch dazu. Es erhellt, dass Gott jene Frau, durch die er selbst Mensch werden wollte, in herausragender Weise dazu befähigt hat. Genau diese einzigartige Befähigung Mariens feiern wir am 8. Dezember. Gott machte Maria fähig, ihn überhaupt zu fassen. Und damit sind wir auch schon bei uns: Wir haben Anteil daran, indem wir durch die Taufe selbst „gottfassbar“ geworden sind.

Schneelandschaft

Was hat das mit der Schule zu tun? Das Fest prägt unser Menschenbild. Wer in anderen Menschen Berufene sieht, wird sie mit Respekt und Interesse betrachten und ihnen vielleicht auch helfen, diese Berufung – die oft lange verborgen ist – zu entdecken. Bedeutender erscheint mir aber folgende Parallele: PädagogInnen erleben junge Menschen in einer Lebensphase, die zuweilen an den paradiesischen Urzustand erinnern mag. Kindern eignet eine natürliche Frische und Unvoreingenommenheit, die Erwachsenen irgendwann einmal abhandenkommt. Gleichzeitig können Kinder auch gehörig aus diesem Bild ausbrechen, andere verletzen und enttäuschen. Das Drama des Menschen beginnt schon recht früh… Was wir zu Maria Empfängnis im Besonderen feiern, das steckt im Allgemeinen in einem kleinen, unscheinbaren Wörtchen der Bibel: es ist das Wort „neu“. „Siehe, ich schaffe alles neu.“ (Offb 21,5; Jes 43,19 u.ö.) Gott hat die Macht, die Welt zu verwandeln, sie wiederherzustellen „und so dem Menschen mitten in einer grausamen Welt Lebensräume zu öffnen – also das zu schaffen, was mit dem Wort ‚Paradies‘ gemeint war.“ (G. Lohfink) Dieses biblische Wörtchen „neu“ schenkt uns den pädagogischen Urglauben. Gott hat ein „Konzept“ vom Menschen und seinem Glück. Mit der Immaculata conceptio haben wir ein mächtiges Zeichen dafür, dass seine rettende Kraft immer gegenwärtig ist. Im Licht Gottes gibt es keine ausweglose Situation.

Zum Autor

Pater Brandl beim Sightseeing in Irland
P. Hans Brandl, SJ

Schulseelsorger, Musik- und Religionsprofessor